Nature. Sound. Memory
Monira Al Qadiri
Joan Jonas
Sigalit Landau
Maya Schweizer
Hannah Weinberger
Die Gruppenausstellung legt den Schwerpunkt auf raumgreifende installative Arbeiten, vornehmlich Videoarbeiten, die sich explizit mit den Themen Natur, Klimawandel, Sound, Erinnerung und Teilhabe auseinandersetzen. Auf poetische und zugleich immersive Art und Weise ermöglichen sie dem Gegenüber eine spezielle Erfahrung und dadurch auch Erkenntnisse in eben diesen Bereichen. Viele der Arbeiten kreisen um Fragen von Achtsamkeit gegenüber Ökologie, Geschichte, Zeit, Identität, Erinnerung, verbunden mit Soundarbeiten und performativer Praxis. Urbane Räume, aber auch Naturräume wie Ozeane, Seen oder Wüsten, werden als Schnittstellen individueller und kollektiver Handlungsweisen erfahren und dienen als Ausgangspunkt filmischer, textlicher und performativer Beobachtung. In der Wahrnehmung dieser bekannten oder auch unzugänglichen und verborgenen Orte und Räume decken die Künstlerinnen soziale beziehungsweise politische Realitäten ebenso auf wie eingeschriebene Geschichten und Narrative. Dabei schaffen sie höchst einprägsame Bilder und Soundfelder. Alle Arbeiten sind erstmals in der Schweiz zu sehen. Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Begleitprogramm unter dem Titel Soundfields.
Audioführung zur Ausstellung
Das Wasser, es fliesst – durch Untergründe, begradigte Bachläufe, Brunnen und Flüsse ins Meer. Es tönt, plätschert, fliesst, geht weiter und bricht sich durch dunkle Tunnelsysteme ins Offene und Helle. Es umschmeichelt einen sich langsam am Meeresgrund wendenden Seestern – und lässt Stimmen endlich ruhig werden. Die filmischen Arbeiten der französischen Künstlerin Maya Schweizer setzen sich seit vielen Jahren dezidiert mit Fragen von Geschichte, Identität und Erinnerung auseinander, sei es verbunden mit ihrer eigenen individuellen Familiengeschichte, die mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten eng verbunden ist, sei es mit dem kollektiven Gedächtnis an jüdische Geschichte in Europa. In ihrer Installation im Kunsthaus Baselland – dem ersten Auftritt der Künstlerin in der Schweiz – präsentiert Schweizer zunächst aus der seit Längerem konzipierten Videofolge die beiden Arbeiten L’étoile de mer (2019) und Voices and Shells (2020). (Es ist zudem geplant, ab Juni auch die neueste Arbeit dieser Folge, Sans histoire (Arbeitstitel), 2023, als Schweizer Premiere im Kunsthaus Baselland zu zeigen.) Collageartige Versatzstücke und Zitate aus der Filmgeschichte seit den 1920er-Jahren verbinden sich mit diversen Textfragmenten und fügen sich zusammen zu einer schlaglichtartigen Narration. Diese spürt u. a. deutscher Geschichte der 1930er- und 1940er-Jahre in München nach, über deren bis heute präsente Architektur im Stadtbild bis hin zu den vielen Untergründen und Untertunnelungen. (Wie viele Gänge und Kanäle bauten die Nationalsozialisten einst in der Stadt, um sich selbst zu schützen, zu verbergen, plötzlich einzufallen?) Die Fassade ist nicht nur die Fassade, heisst es an einer Stelle in Voices and Shells. Sie ist auch Geschichte, Speicher und muss dennoch gelesen und gehört werden können.
Ein zentrales Motiv und zugleich Symbol des Erinnerns, Speicherns und Transformierens ist für Sigalit Landau das natürliche Material Salz. Das weisse Gold, wie es bisweilen genannt wird, gehört seit vielen Jahren zur künstlerischen Handschrift der in Israel lebenden Künstlerin. Aufgrund seiner vielschichtigen Bedeutung in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten, vor allem jedoch durch die Möglichkeit des Versalzungsprozesses im Verlauf der Zeit, können gewöhnliche, unbelebte Gegenstände in etwas Aussergewöhnliches umgewandelt werden. Das Tote Meer mit seinem extrem hohen Salzgehalt, am tiefsten Punkt der Erde, ist dabei für Sigalit Landau Atelier und Experimentierfeld zugleich, um alltägliche Objekte und Gegenstände über den natürlichen Prozess der Kristallisation mit einer Salzkruste zu versehen. Vertrautes wird verfremdet und zugleich poetisch-rätselhaft aufgeladen. Fast scheinen die verwendeten Objekte wie Kleider, Schuhe, Ringformationen etc. mit einer Schicht funkelndem Schnee bedeckt. In diesem Zustand sind sie Ausgangspunkt für die Skulpturen, Videos oder Installationen der Künstlerin. Der Salzgehalt des Toten Meeres bewirkt aber auch, dass eine andere physikalische Logik vorzuherrschen scheint; Schweres geht nicht unter, sondern schwimmt an der Wasseroberfläche. Welche Geschichten und Erinnerungen verschwinden nicht in der Tiefe, sondern bleiben unweigerlich an der Oberfläche und damit sichtbar? In Dead Sea treibt der nackte weibliche Körper, eingebettet in ein spiralförmiges Feld von süssen Wassermelonen, die in der Nähe des Toten Meeres wachsen, und setzt sich langsam drehend in Bewegung. Körper und Frucht, symbolisch aufgeladen, würden im Verlauf von Zeit ebenso mit einer zarten Salzkruste versehen werden. Süsses wird salzig, Lebendiges gefährdet, aber auch konserviert und gespeichert in der Zeit. Für Sigalit Landau ist das Arbeiten mit Salz jedoch auch aktuelles Sinnbild für die Gefährdung der Natur selbst, denn auch das Tote Meer ist durch Klimawandel, Ausbeutung und Austrocknung heute eines der am stärksten gefährdeten Gebiete.
Zu einem achtsamen Hören und Sich-durch-den-Raum-Bewegen lädt auch die Arbeit von Hannah Weinberger ein. Die in Basel lebende Künstlerin ist bekannt für ihre eindrücklichen und poetischen Sound- und Videoarbeiten, die sie bisweilen auch performativ aktiviert. Oftmals sind es Soundcollagen von selbst Gefundenem, eigens Komponiertem, von CDs Entnommenem sowie von Freund*innen aus aller Welt Zugesandtem. Privates und Öffentliches ebenso wie Alltägliches und Spezifisches werden über mehrere Soundspuren und -känale zu einer Komposition, die im Raum klingt und bisweilen mit Video- und Lichtinstallationen oder auch Gegenständen im Raum verbunden wird. Diese «field recordings» und Klangfrequenzen, die nach Aussage von Weinberger die «soziale Kakophonie» unterstreichen, werden von ihr zu Kompositionen montiert, neu zusammengesetzt. Der Rhythmus des jeweiligen Sounds ist entscheidend: Mal verdichtet er sich, wird laut, mal läuft der Klangteppich langsam aus, wird weich und leise, ist fast zu überhören. Nimmt das Gegenüber, so die Frage der Künstlerin, die Arbeit überhaupt respektive unterschiedlich wahr? Weinbergers Klangarbeiten sind überwiegend ortsspezifische Soundinstallationen, deren Reiz für die Künstlerin zugleich in ihrer möglichen Übertragbarkeit wie auch in ihrer Einzigartigkeit liegt. Für die Ausstellung im Kunsthaus Baselland zeigt Hannah Weinberger ihr Werk Singende Steine. Für die mehrteilige Arbeit wurden von der Künstlerin sorgfältig drei Findlinge aus einem Schweizer Flussbett ausgewählt, bearbeitet und mit einem komplexen Lautsprecher-Soundsystem versehen, um sie anschliessend in Schwingung zu versetzt. Nicht von ungefähr wird der Natur eine zarte Stimme gegeben, die es wahrzunehmen gilt.
Auch Monira Al Qadiri scheint der Natur eine Stimme verliehen zu haben, die sich bisweilen in dunklen, massigen Tönen durch den Raum Bahn bricht. Holy Quarter, so der Titel der gewaltigen Installation aus Video, Sound und Glasobjekten, bezieht sich auf die weltweit grösste und zugleich geschichtsträchtigste Wüstenregion zwischen dem Oman, dem Jemen, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten. Diese Region, die zweimal so viel Sand fasst wie etwa die Sahara, wird auch Leeres Viertel genannt – und tatsächlich ist es die unglaubliche Weite, erlebt durch die Perspektive der Kamerafahrt, die dem Auge in den Weiten von Sand, einzelnen Steinformationen oder Höhlenfrequenzen nur wenig Halt bietet. Und doch zog es Anfang des 20. Jahrhunderts Forscher wie den Wissenschaftler St. John Philby in diese Region, um eine versandete Stadt wiederzufinden. Stattdessen traf er auf zwei gewaltige Kraterspuren sowie metallhaltige Steinformationen, die sich später als Überreste von Meteoriteneinschlägen herausstellten. In der Audiospur mischen sich eindringliche Musiksequenzen, elektronischer Sound mit gesprochenen Texten. Al Qadiri gibt dabei Wabar, dem weltweit am besten erhaltenen Krater, eine Stimme und lässt ihn aus dem Tagebuch von St. John Philby sowie arabisch-religiöse Poesie rezitieren. Die Glasobjekte, die sich bei der Videoinstallation befinden und diese auch reflektieren, erinnern in ihrer Oberflächenbeschaffenheit sowohl an die gefundenen Steinformationen des Meteoriten selbst als auch an Ölflecken. Der seit Jahrzehnten wichtigste fossile Energieträger Öl – das sogenannte Schwarze Gold – ist verantwortlich für den unglaublichen Reichtum der ganzen Region am Arabischen Golf, darunter das Emirat Kuwait, woher Al Qadiri stammt; auf der anderen Seite hat er zu einer starken Ausbeutung von Mensch, Natur und Klima geführt. Die Abhängigkeit der Golfstaaten sowie unser aller Abhängigkeit vom Rohstoff Öl und zugleich die verheerenden Konsequenzen, die sich daraus für das gesamte ökologische und soziale Gefüge ergeben, sprechen deutlich aus den Werken von Al Qadiri. Gleich einem Kontakt mit ausserirdischen Objekten, die als Meteorit auf die Erde einbrechen und ihre Spuren hinterlassen, zeigt Al Qadiris Werk die Dimension von Zusammenhängen die innerhalb und ausserhalb von Welt, Zeit und Raum wirken und einander bedingen.
Der Natur eine kraftvolle Stimme zu geben und sich selbst auf Augenhöhe mit dieser zu begeben, ist der zentrale künstlerische Motor für Joan Jonas, eine der wichtigsten US-Künstlerinnen. Bereits seit den 1970er-Jahren setzt sich Jonas konsequent explizit mit den Themen Natur, Klimawandel, Nachhaltigkeit und deren Pflege («care») auseinander. Durch ihr anhaltendes Experimentieren mit den Medien Zeichnung, Performance, Video und Installation sowie deren Zusammenführung hebt Jonas immer wieder die vorherrschenden Definitionen und Grenzziehungen jener Bereiche auf und erweitert sie. Im Rahmen der Ausstellung im Kunsthaus Baselland ist Joan Jonas mit ihren Arbeiten zum ersten Mal in dieser Form in Basel und der Region vertreten. Sie präsentiert aktuelle Zeichnungen, Texte und Videos aus der Ocean-Serie, die eines der zentralen und drängendsten Themen der Künstlerin zum Thema haben. Jonas hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit aktuellen ökologischen Fragen im Zuge des Klimawandels auseinandergesetzt und dabei nichtmenschliche Lebensformen und Ökosysteme in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Betrachtung und Praxis gestellt. Der Ozean, so die Künstlerin, hat uns für lange Zeit so viel gegeben. Nun liege es an uns, etwas zurückzugeben. Joan Jonas rezitiert in der Soundspur Aufzeichnungen des Meeresbiologen David Gruber, mit dem die Künstlerin an verschiedenen Aquarien der Welt zusammenarbeitet, sowie eigene Texte, in welchen die Künstlerin mythische Erzählungen mit Beiträgen der Biolog*innen Rachel Carson, Jonathan Balcombe oder auch Passagen aus Herman Melvilles Moby Dick oder Emily Dickinson vermischt. Dabei verbindet sie literarisch-mythische Texte mit aktuellem Wissen aus der Forschung. Erkenntnis und Empathie mögen ein Umdenken in unserem Umgang mit dem akut bedrohten Ökosystem der Meere – und der Natur im Allgemeinen – doch noch möglich werden lassen. Wie hiess es noch bei Maya Schweizer: Die Stimmen, die so dringend rufen, müssen gehört und auch verstanden werden.
(Ines Goldbach)
KuratorIn: Ines Goldbach zusammen mit Käthe Walser, Künstlerin
For more information please visit Kunsthaus Baselland.