Nachruf auf Josef Herzog

by Beat Wismer
Aargauer Zeitung
20 August 1998
Deutsch

1939 in Zug geboren und dort auch aufgewachsen, besucht Josef Herzog 1961 bis 1965 die Kunstgewerbeschule Luzern, er schließt die Ausbildung mit dem Zeichenlehrerdiplom ab. In Luzern ist er Schüler u.a. bei Max von Moos, dem grossen späten Surrealisten. Herzog unterrichtet erst in Sursee, seit 1967 bis 1976 an der Kantonsschule in Aarau: Die Stelle vermittelt ihm der damalige Zeichenlehrer und spätere Konservator des Kunsthauses, Heiny Widmer. Herzog lebt mit seiner Frau, der Künstlerin Theres Hodel, und mit den zwei Kindern in Aarau, 1976 übersiedelt die Familie nach Zug, wo Josef Herzog ein weiteres Jahrzehnt unterrichtet.

Eine Ahnung davon, dass der Luzerner Lehrer Max von Moos für ihn wichtig gewesen sein muss, geben frühe Blätter aus den Jahren 1969 bis 1971, gleichzeitig sind diese frühen Werke, und nur diese, mit ihren organischen und auch figürlichen Allusionen und Verweisen am ehesten mit einer bildnerischen Sprache in Verbindung zu bringen, die dem damaligen Zeitstil entsprach. Seit 1970 gehört Josef Herzog zum Kreis der Ateliergemeinschaft am Ziegelrain, dank der die Kleinstadt Aarau eine wichtige und aktuelle Rolle in der schweizerischen Kunstlandschaft zu spielen beginnt. Im Unterschied aber zu den anderen Ziegelrainern Heiner Kielholz, Max Matter, Markus Müller, Christian Rothacher und Hugo Suter, die sich, der offenen Kunstsituation nach 68 entsprechend, experimentierend auch mit den neuen Möglichkeiten und Materialien der Kunst jener Zeit auseinandersetzen, arbeitet Herzog schon damals ausschließlich in seinem bis zuletzt gültigen Medium: in der Zeichnung und im Aquarell. Er arbeitet nicht mit an den expansiven Erweiterungsmöglichkeiten, die ein neuer Kunstbegriff bietet, die Spirale seiner Kunst scheint sich im Gegenteil nach innen zu drehen: in Richtung immer stärkerer Verdichtung und Konzentration, einer Konzentration allerdings, der auch eine große Gelassenheit eignen kann.

Ab 1972 gibt es in diesem Werk nur noch vage benennbare Bildgegenstände, ab 1975 gibt es solche überhaupt nicht mehr: die Linien sind gänzlich autonom geworden und haben jede dienende Funktion überwunden. Sie umreissen nichts mehr, sie sind in die absolute Freiheit entlassen. Seither arbeitet Herzog an einem absolut eigenständigen Werk, das nur noch wenig korrespondiert mit den sich ablösenden Tendenzen in der Gegenwartskunst. Es ist ein im Wortsinn radikales Werk, vorgetragen in einer stupenden Technik, deren Virtuosität nie in hohle Souveränität abgeglitten ist. Das Gesamtwerk lässt sich in Werkgruppen unterteilen, Brüche lassen sich im Werkablauf feststellen: analog der Tatsache, dass Phasen obsessiver Arbeitswut abgelöst wurden durch Zeiten der Leere, des nagenden Zweifels und der Depression und der Unfähigkeit, überhaupt eine Linie aufs Papier zu bringen. Die äusseren Brüche vermögen aber den durchgehenden inneren Gehalt dieser Arbeit nicht zu überdecken: Es ist gerade die Ambivalenz von innerer Einheit und äußeren Brüchen, welche für das Werk von Josef Herzog so charakteristisch ist.

Die Linie in Herzogs Blättern bewegen sich im großen Spannungsfeld von Ordnung und Chaos, sie schaffen über die Ordnung Form, und sie lösen die Form und die Ordnung wieder auf: Mit den Linien befreite sich der Künstler von einer einengenden Ordnung im freien Bild, mit ihnen überwand er die Engnis und das Sture bestehender Ordnungen. Die Linien des Josef Herzog erzählen keine Geschichten, sie sind die Geschichte. Sie reagieren auf die Befindlichkeit des Künstlers, aber sie beschreiben sie nicht. In der Linie erkannte der Künstler das Mittel, das seinem Verlangen nach Entäußerung gewachsen war, ihr traute er ungleich subtilere Differenzierungsmöglichkeiten zu als der Wortsprache. Er hat alle Fähigkeiten dieses reduziertesten Bildmittels ausgereizt: Zum Zwecke der möglichst präzisen Übersetzung von begrifflich nicht Fassbarem.

Mit solchen Werken — die auf eine gleiche Stufe zu stellen mit Werken von früheren Künstlern wie Otto Meyer-Amden, Louis Soutter oder auch Paul Klee wir uns nicht scheuen –und mit solchen Ansprüchen wird keiner populär: Josef Herzog, der zu den ganz wichtigen Schweizer Zeichnern über seine Generation hinaus zu zählen ist, gehört zu jenen Künstlerpersönlichkeiten, die das Englische als „artist‘s artist“ bezeichnet — Künstler, die von wenigen, von diesen aber umso höher, und vor allem von Künstlern und Kennern geschätzt werden. Da Kunstschaffende oft die kritischsten Betrachter sind, gilt die Bezeichnung als großes Kompliment.

Josef Herzog war ein überaus schweigsamer Mensch, welcher der Wortsprache zutiefst misstraute. Er war ein bescheidener Mensch, aber ein in seinen Ansprüchen an Qualität und Intensität maßloser Künstler: Er sprach wenig, kaum sogar; was er zu sagen hatte, finden wir in seinen Werken, hier entäusserte er sich rücksichtslos. Seine Kunst ist in jener Zone angesiedelt, wo unsere Sprache zugleich zuviel und zu wenig ist: Mit dieser Formulierung beschreibt Roland Barthes das unserer Sprache verschlossene Gebiet der Liebe — auch von ihr handeln Herzogs Blätter. Mit seiner radikalen, totalen und hemmungslosen Entäußerung werden für jene, die dazu bereit sind, Gebiete eröffnet, die uns alle angehen. Dabei gilt es, die Zartheit und die Zärtlichkeit zu beachten, mit welcher der Pinsel aufs Blatt gesetzt und wieder abgehoben wurde, aber auch die tiefe existenzielle Verzweiflung und die Wut, mit welcher der Stift hektisch durch die Bildfläche gequält und gejagt wurde. Wer offen auf die Blätter von Herzog zugeht, wird Wunderbares und Trauriges erfahren, er wird reiner, interesseloser und auratischer Schönheit begegnen, ebenso aber mit einer Ahnung von tiefsten und dunkelsten Abgründen menschlicher Existenz konfrontiert werden. Diese tiefe Ambivalenz wird uns ihrerseits wiederum ambivalent vor Augen geführt: In Blättern von einer unerbittlichen Intensität und gleichzeitig meditativen Gelassenheit.

Die Werke von Josef Herzog konfrontieren uns mit Gefühlen, Stimmungen und Befindlichkeiten, die wir kennen, zu deren Beschreibung uns aber die Worte fehlen. In dieser sprachlosen Ausdrucksfähigkeit des Werkes liegt einer der Gründe für unsere hohe Wertschätzung des Künstlers Josef Herzog, dafür haben wir auch den Menschen geliebt.

Cover Image: Josef Herzog, Untitled, 1986, Oil chalk, 104.7 x 157.7 cm