Alpenmalerei und Rechnerkunst

by Villö Huszai
Neue Zürcher Zeitung
14. Januar 2006
Deutsch

Das Künstlerpaar Monica Studer und Christoph van den Berg in Solothurn

Das monumentale Bilderlebnis der Alpenmalerei, gekreuzt mit Computerkultur: Das ist der kühne mediengeschichtliche Kern der Ausstellung «Somewhere else is the same place» im Kunstmuseum Solothurn. Es handelt sich um die bisher grösste Einzelausstellung des Basler Künstlerpaares Monica Studer und Christoph van den Berg.

Wenn Monica Studer und Christoph van den Berg ihre Präsentation im Kunstmuseum Solothurn mit zwei grossformatigen Bildern von Alpenansichten in einem sonst leeren Saal beginnen, dann zitieren sie eine Bildtradition, wie sie exemplarisch Caspar David Friedrichs «Der Wanderer über dem Nebelmeer» von 1818 veranschaulichen kann. Friedrichs Wanderer blickt als kleines Figürchen ganz versunken auf die erhabene Natur zu seinen Füssen. Im neuklassizistischen Kunstmuseum Solothurn, das unter anderem über eine grosse Hodler-Sammlung verfügt, scheint der Verweis auf die Tradition des erhabenen Kunstbildes nahezuliegen.

Virtuelles Hotel

Spätestens auf den zweiten Blick zeigt sich aber die Kühnheit des Auftakts: Studer / van den Bergs Grossbilder sind keine herkömmlichen Ölbilder, sondern bestehen aus jeweils vier aneinander gefügten Inkjet-Prints - Tintenstrahl-Ausdrucken also, wie man sie vom alltäglichen Computer-Gebrauch her kennt.

Welch weitgespannten kunst- und medienhistorischen Brückenschlag Studer / van den Berg vollziehen, zeigt sich am deutlichsten in der Hälfte des Ausstellungs-Durchganges, wo man auf die Internet-Arbeit www.vuedesalpes.com stösst. Das bereits 2001 aufgeschaltete virtuelle Hotel in voralpiner Landschaft ist zum einen Keimzelle der ganzen Ausstellung. Denn so virtuos die medialen Zugänge in der Ausstellung auch variiert werden, so beharrlich umkreisen Studer / van den Berg thematisch das Alpenmotiv und die Frage, wie persönliche Erinnerung und mediale Bilder bei der Wahrnehmung einer Landschaft zusammenwirken. Ausserdem dokumentiert das Projekt Studer / van den Bergs Verbindung zur Netzkultur. Das in Malerei ausgebildete Paar ist schon 1990 auf das Medium Computer umgestiegen und hat sich in enger Zusammenarbeit mit dem Kulturserver www.xcult.org auch auf dieses schwierigste Gebiet innerhalb der Computerkunst gewagt.

In Solothurn zeigen Studer / van den Berg ihr Hotelprojekt offline. Denn auf dem Netz kann die virtuelle Landschaft rund um das Hotel nur erkunden, wer sich online eine Zimmerreservation verschaffen konnte. Was Geduld erfordert, denn momentan ist das Hotel bis 2007 ausgebucht - listiger kann man die weltweite Zugänglichkeit des Netzes nicht konterkarieren. Obwohl sich solche konzeptionell-medientheoretischen Überlegungen im Parcours durch die Ausstellung zuhauf ergeben, sind Studer / van den Berg bildende Künstler und dem Primat des Ästhetischen treu geblieben. An der diesjährigen Weltausstellung in Japan haben sie die Oberfläche des Berges gestaltet, welcher im Schweizer Pavillon gezeigt wurde. Selbst für diese umfangreiche Arbeit haben sie keinen einzigen Grashalm extern machen lassen, denn dann würden sie ja ihr «Kerngeschäft, die ästhetische Gestaltung», delegieren, meinen die zwei Künstler im Gespräch. Studer / van den Berg verbinden autonomen Technologie-Gebrauch mit einem eigenständigen Bildverständnis, eine höchst seltene Kombination.

Der Brückenschlag zur Alpenmalerei kann durchaus mit Witz gepaart sein, wie man ihn in der interaktiven Installation «LivecamGleissenhorn» erkennen mag. Sie bietet eine 360-Grad-Ansicht von einem fiktiven Aussichtspunkt aus, der sich in der Nähe des Hotels Vue des Alpes befindet. Als Teil der Netzplattform ist die Live-Kamera-Simulation ursprünglich fürs kleine und auch intime Bildschirm-Format gemacht. Dies entspricht dem üblichen Einsatz solcher Panorama-Kameraschwenks, die via Fernsehen oder Internet das jeweils herrschende Wetter, zum Beispiel eines Ferienortes, übertragen und dokumentieren. Studer / van den Berg projizieren das vorübergleitende Bild in Solothurn auf eine ganze Saalwand und kehren damit zur ursprünglichen Grossflächigkeit historischer Panoramen zurück.

Der Betrachter im Bild

Nun kann man aber auf einer Leiste am unteren Rand des Bildes via Tastatur das (fiktive) Wetter jedes einzelnen Tages abfragen - wer kann da dem Impuls widerstehen, das Datum des eigenen Geburtstages - oder zumindest jenes des Liebsten einzutippen? Effekt ist, dass sich der Betrachter mit dieser Abfrage selbst ins Bild setzt. Am privaten Bildschirm wäre vielleicht nichts dabei, doch als grossflächige Projektion in einer Museums-Halle? Caspar David Friedrichs stummer Betrachter der Nebellandschaft hat sich unter den Händen Studer / van den Bergs unversehens in eine Plaudertasche verwandelt.

Im letzten Saal ist ein Teil des japanischen Modell-Berges, der fast an die Saaldecke reicht, wieder aufgebaut. Der künstliche Hang versperrt bis auf einen schmalen Durchgang den Ausgang ins Foyer - als wollten Studer / van den Berg ihr Publikum nochmals mit einem ironischen Augenzwinkern dazu anhalten, vor der erhabenen Natur innezuhalten.

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Cover Image: Monica Studer und Christoph van den Berg: «Nebel», 2005, interaktive 3-D-Programm-Entwicklung