Der Täufer mit dem Marx-T-Shirt

by Christoph Heim
Basler Zeitung
18 May 2016
Deutsch

Der Basler Maler Stephan Melzl stellt seine neuesten Bilder in der Galerie Krupp aus

Der Mann trägt einen rosaroten Sonnenhut und steht hüfttief in einem See. Er überragt eine Gruppe von Menschen, deren Köpfe aus dem Wasser schauen. Im Hintergrund breitet sich eine mediterrane Landschaft mit Pinien und Laubbäumen aus. Das Gemälde erinnert an mittelalterliche Darstellungen mit Johannes dem Täufer.

Hier ist das Motiv aber modern aufgefasst. Das Bild heisst schlicht «Taufe»: Der zeitgenössische Johannes trägt ein Unterhemd, auf dem ein Porträt von Karl Marx prangt. Er hält seine Hände schützend über seine Jünger, denen es- wie der rot-weissen Seerose im Vordergrund - ganz gut zu gefallen scheint im grünlichen Wasser.

Der Maler des Bildes ist Stephan Melzl. Er wurde 1959 in Basel geboren und studierte Malerei in Frankfurt, wo er heute noch lebt und arbeitet. Nach zahlreichen Ausstellungen in Frankfurt und Köln zeigte ihn 2014 die Pinakothek der Moderne in München in einer grossen Retrospektive. Nun ist Melzls Kunst - es ist die erste Einzelausstellung in der Schweiz - in seiner Heimatstadt Basel zu sehen.

Wir treffen ihn in der Galerie von Nicolas Krupp zwischen Messe und Badischem Bahnhof, wo seine neuesten Bilder ausgestellt sind. Es ist gegenständliche Malerei, die auf jedem Bild mit ein, zwei oder auch mehr menschlichen Figuren, die sich in einem Raum oder einer Landschaft befinden, eine andere Geschichte erzählt. Oft ist es eine irritierende und rätselhafte Erzählung. Gerne verwendet der Maler eine Bild-in-Bild-Situation, die das Dargestellte relativiert. Immer wieder nimmt er Bezug auf religiöse oder mythologische Motive.

Eigenwillige Farbe
Zuerst sprechen wir über die praktische Seite seiner Arbeit. Melzl malt meist direkt auf 65 mal 50 Zentimeter grosse Tischlerplatten. Ihm gefällt der feste Untergrund für seine Ölmalerei, die aus zahlreichen Farbschichten entsteht. Eine Leinwand sei ihm zu geschmeidig und verlange nach einem Rahmen, der seine Bilder leicht etwas barock aussehen lasse. Das Technische einer Tischlerplatte wirkt da als Kontrapunkt zu einer figurativen Malerei, die durch ihre Virtuosität und Feinheit immer wieder überrascht.

Ob er das Marx-Porträt im «Taufe»- Bild ironisch meine, frage ich Stephan Melzl. Nein, es gehe ihm nicht oder nicht nur um einen ironischen Kommentar zu linker Politik. Er wolle sich nicht absetzen von seinen Motiven, im Gegenteil, er möge sie, sonst könnte er sie ja nicht malen. Und er liebe das Unvorhersehbare des Malprozesses, der jeweils zu einem Bild führe. Jedes seiner Gemälde ist Produkt einer langen Auseinandersetzung, oft dauert es Monate, bis es von seinem Schöpfer für fertig erklärt wird.

«Ich mache», so Melzl, «zu jedem Bild eine Entwurfszeichnung. Sie ist aber nur der Ausgangspunkt. Oft sind es die Farben, die dem Bild den Weg vorzeichnen und das Bild während des Malens verändern.» Er beschreibt das so, wie wenn ab einem gewissen Punkt der Malerei die Farben die Hand des Malers zu führen begännen. «Auf einmal», sagt er, «ist der Hut des Gurus auf dem -Bild rosa und das wiederum beeinflusst die Farbigkeit des Hintergrunds oder auch der Seerose.»

Und dann stehen wir vor einer seltsamen Sebastian-Szene: In der Brust eines halb nackten Mannes, der an einen Pfahl gebunden ist, steckt ein Pfeil. Davor steht ein auffallend statisch wirkender Soldat im Tarnanzug mit einem Pfeilbogen in der Hand. Mit Leichtigkeit überwindet dieses Bild Jahrhunderte: Der Soldat könnte einem Foto aus Abu Ghraib entsprungen sein, während die Darstellung des heiligen Sebastians unverkennbar der mittelalterlichen Bildtradition folgt, aber mit seinen schwarzen Stiefeln, dem weissen Slip und seiner lasziven Schmerzenspose ganz gut auch in ein homoerotisches Magazin passen würde.

Bild im Bild
«Hier arbeite ich», so Melzl, «mit einem Bild im Bild. Auf diese Weise kann ich ein traditionelles Motiv aufnehmen, das man eigentlich gar nicht mehr malen kann. Der uniformierte Soldat befindet sich in einem Atelier vor einer Sebastian-Darstellung, wird aber durch die Waffe in seiner Hand als Täter erkennbar. Es ist für den Betrachter allerdings nicht klar zu entscheiden, ob ich als Künstler hier einen Soldaten gemalt habe oder ob mir hier nur ein als Soldat verkleideter Statist Modell stand.» Der Maler als Autor baut Distanzmomente ein, sodass die dargestellte Situation in der Schwebe bleibt.

Immer wieder schiebt sich bei Melzl ein Bild zwischen Motiv und Maler beziehungsweise Zuschauer: Da blicken wir mithilfe eines Tablet-Computers einem Paar über die Schultern, das sich in den Bergen am Rand eines mit Wasser gefüllten Swimmingpools befindet. Nebenan spiegelt sich das Bild eines nackten, kopfstehenden Mädchens auf der Oberfläche zweier Smartphones. Auf einem andern Bild blickt uns eine Frau an, die sich auf einer Postkarte befindet. Sie war auf der Entwurfszeichnung noch nackt, wie uns der Maler erklärt. Jetzt trägt sie ein gelbes Sommerkleid mit weissen Punkten, das wunderbar zum Filter des grossen Zigarettenstummels im Vordergrund passt - oder ist es umgekehrt?

Es sind wohlinszenierte Beobachtungen, die den Blick des Betrachters zu schärfen vermögen. Die Malerei Melzls ist vom Feinsten, er beherrscht sein Handwerk bis hin zum naturalistischen Abbild. Mit seinen Bildern wirft er aber einen desillusionierenden und durchaus humorvollen Blick auf die Welt. So wie in seinem «Micky» genannten Bild: Da blicken wir als Besucher mit der Dame im Bild durch ein riesiges Fenster, das die Form eines Mickey-Mouse- Kopfes hat, hinaus in eine idyllische Natur. Der Clou des Gemäldes: Die Mickey-Mouse-Form wiederholt sich im Muster auf dem weissen Höschen der Dame, wie wenn in unserer durchgestalteten Welt der Ausblick in die Natur nur die Vergrösserung eines Textilaufdrucks wäre.

Cover Image: Der Segen des Gurus. "Taufe" von Stephan Melzl. Foto: Galerie Krupp