Vom Versuch, Kunst unvoreingenommen zu betrachten

by Tobias Krone
Deutschlandfunk Kultur
07 November 2019
Deutsch

„Feelings“ in der Pinakothek der Moderne

In der Kunstwelt machen oft der Name des Malers oder der Marktwert ein Bild interessant. Die Pinakothek der Moderne in München will das unterminieren: In der Ausstellung „Feelings“ verwehrt sie Angaben zu Künstler und Werk. Und ermöglicht so einen neuen Blick.

Groß ist die Kunst und klein die eigene Existenz. Mit dieser Urerfahrung so mancher Besucher von Museen empfängt einen die Ausstellung „Feelings“, in Form eines kleinen Ölgemäldes von 2005.

„Die Arbeit von Stephan Melzl ist natürlich eine sehr zurückgenommene Arbeit. Sie kommt so klein und unscheinbar daher“, sagt die Dokumentarfilmerin und Ko-Kuratorin Nicola Graef. „Und wenn man sich aber überlegt, was sowas auslöst: Ein kleines Mädchen steht in der Ecke – dann weiß man, was das zu bedeuten hat. Alleinsein. Einsam sein. Sich irgendwie auch nicht beachtet zu fühlen. Also das ist eine ziemlich brutale existenzielle Erfahrung, die hier zum Ausdruck kommt.“

Das Bild in seiner Haribo-Buntheit auf der grellrot gestrichenen Wand ist von schreiender Beklemmung – und kann durchaus als selbstironische Geste der Ausstellungsmacherinnen verstanden werden. Denn den furchteinflößenden autoritären Gestus der Hochkultur wollen sie diesmal gerade vermeiden. Sie verzichten daher auf das Schildchen mit Künstlernamen und Werktitel.

Unvorbelasteter Zugang zur Kunst

Einen unvorbelasteten Zugang zur Kunst wollten sie ermöglichen – und damit fruchtbare Diskussionen über Interpretationsspielräume, sagt der Kurator Bernhart Schwenk. „Bei dem Werk von Stephan Melzl beispielsweise ist es gar nicht so ausgemacht, dass es sich um ein Kind handelt. Zwar sind die umliegenden Möbel ja sehr groß. Daraus schließt man, dass die Person sehr klein ist. Aber die Haare und die Figur – das könnte durchaus auch eine junge Erwachsene sein.“

Ein zeitgenössische Kunsterleben, das nur unter der Haut wahrgenommen werden soll – das will die Ausstellung „Feelings. Kunst und Emotionen“ sein. Ob so etwas funktioniert?

Zunächst kann man festhalten, dass ein solch vorintellektueller Zugang nicht weniger herausfordernd ist. Denn wie eindeutig sind schon unsere Gefühle! „Am Anfang hatten wir vor, die Räume nach Gefühlen zu ordnen. Also ein Angstraum und einen Freudenraum; bis wir dann festgestellt haben oder wir haben sehr schnell festgestellt, dass die Betrachtung von Werken sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Gefühle, die Sie dabei zeigen oder die Emotionen oder Affekte – es gibt Arbeiten, die findet jemand ganz furchtbar ekelhaft und andere stehen davor und lachen.“

Schreckliche Installation „Totenklasse“

Eindeutig schrecklich ist die Puppen-Installation „Totenklasse“ von Janusz Kantor – mehrere Schüler starren terrorisiert bis apathisch in den Raum – mehr Zombie als lebendig. Sehr viel komplexer kann dagegen der Knettrickfilm von Nathalie Djurberg und Hans Berg erfühlt werden.

„Und dann, wenn man sich diese niedlichen Knetfiguren anguckt“, setzt Nicola Graef an. „Am Ende stellt man fest, dass es um sexuellen Missbrauch geht, um Misshandlungen, um Verdrängungen, um Traumata. Und zwar in der brutalsten Exegese. Und das ist eben auch, was Gefühle ausmacht. Dass man dieses Werk so lesen kann, dass man sich totlacht – im wahrsten Sinne des Wortes. Und jemand anders fühlt sich zutiefst verletzt, berührt und verschämt.“

Ohne den berüchtigten Namen des Künstlerduos zu wissen, kann man den Trickfilm, in dem eine Frau stirbt und nach und nach in einem Wald von drolligen Tierchen zerfressen wird, auch erst einmal ganz einfach staunend zur Kenntnis nehmen – den eigenen Emotionen Zeit lassen, ohne den psychoanalytischen Filter zu bemühen.

Gewünschte Kontextlosigkeit

Das Interessante am Experiment ist auch, dass sich teils sehr politische Kunst durch die Kontextlosigkeit sehr unpolitisch direkt wahrnehmen lässt. Ruprecht von Kaufmanns Porträts von Geflüchteten in Öl erscheinen als das, was sie sind: Gesichter, die müde sind vom Grauen, das sie durchgemacht haben – ob Kriegserfahrung oder die First World Pathologien unserer eigenen Hemisphäre – das muss erst einmal nicht interessieren.

Kunst darf hier in ihrer universellen Kraft wirken – in uns selbst – ohne dabei immerzu den oder das andere zu produzieren.

Ein bisschen will Kurator Bernhart Schwenk seine Arbeit auch als Geste gegen den Kunstmarkt verstanden wissen. „Also, der Markt ergibt da schon ganz hart was vor. Das Signature Piece ist das, was sich am besten verkauft. Und das ist sehr kühl. Die Beziehung zur Kunst ist meistens sehr kühl. Es gibt andererseits auch viele Sammler, die sagen: Ich sammele das, was mir gefällt. Wo ich einen Zugang habe.“

Graef ergänzt: „Ingvild Goetz beispielsweise hat eine hochemotionale Sammlung. Das war für uns ein ganz toller Fundus, aus dem wir auch schöpfen konnten. Wo auch spürbar ist, dass diese Frau keine Angst vor Gefühlen hat – in ihrer Sammlung.“

Herausforderung des Museumsbesuchers

Der rein emotionale Zugang – wer mit den jahrelang angeeigneten Routinen des Museumsbesuchers die Ausstellung betritt, dürfte damit so seine Schwierigkeiten haben. Denn ob man will oder nicht, schleppt man immer einen großen Rucksack an Vor- und Halbwissen mit sich herum.

In einem Gemälde meint man einen Neo Rauch zu erkennen – und siehe da, es entstammt dem Atelier seiner Partnerin Rosa Loy. Die Emotionalität tritt bei solchen Erkenntnissen sofort in den Hintergrund. Und so bleibt letztlich die Empfehlung: Nehmt eure Kinder mit in diese Ausstellung – damit sie es einmal besser haben.

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Cover Image: Stephan Melzl, Spiel, 2005, Oil on wood, 65 x 50 cm