Margaret Harrison — Eine Frau sind viele

by Stefanie Manthey
Kunstbulletin
January 2020
Deutsch

Margaret Harrison in der Galerie Nicolas Krupp in Basel

Die britische Künstlerin Margret Harrison setzt sich seit den 1970er-Jahren mit sozialer Ungleichheit, Feminismus, häuslicher Gewalt und weiblicher Sexualität auseinander. Sie hat dafür eine eigene Sprache entwickelt, die vordergründig illustrativ daherkommt. Was sie zeigt und worüber sie informiert ist couragiert zeitkritisch und frei von bitterer Polemik.

Basel – Als der Tod von Marilyn Monroe am 5. August 1962 diagnostiziert wurde, ging eine Ära gewaltsam zuende, der Mythos Marilyn lebt weiter. 1984 veröffentlichte Madonna „Like a Virgin“, Harrison schuf zwischen 1994 und 1998 Arbeiten zu Stationen aus dem Leben Marilyns als Frau und appropriierte das ikonische Polaroid mit dem Warhol die Chiffre ihres Gesichts popularisierte. Drei Arbeiten sind jetzt im hinteren Teil der Eingangswand der Ausstellung platziert, zu der Krupp Harrison eingeladen hat, nachdem er 2014 erstmals Arbeiten in der Galerie Silberkuppe in Berlin gesehen hatte. Keines glitzert und funkelt. Ihre Fassung des Polaroids verweist auf die Zerbrechlichkeit und das Fassadenhafte, das wie nicht wasserfestes Mascara verläuft, wenn es mit Tränen in Berührung kommt. Sein Pendant ist ein Gemälde nach einer Post-Mortem Fotografie mit geschlossenen Lidern und zurückgebürsteten blonden Haaren. Harrison ergänzt ihre Fassung mit einem Zitat aus dem berühmten, Anne Gregory gewidmeten Gedicht von William B. Yeats: „Only God, my dear could love you for yourself alone and not for your yellow hair“.
Rechts daneben ein Tableau aus 24 kleinformatigen Panels, mit dem Harrison eine politische Aktion aufgreift: 1981 protestierte eine Gruppe von Frauen in Greenham Common gegen die Entscheidung der damaligen britischen Regierung unter Margret Thatcher dort amerikanische Nuklearraketen zu lagern. Sie fesselten sich an den Zaun, in der Folge gründetet sich das Greenham Common´s Peace Camp. Harrison entwickelte die Arbeit 1989 während einer Residency des New Museum in New York, stellte sie in der Bowery aus und schrieb damit ein Kapitel in die transatlantische Geschichte zur Zeit des Kalten Krieges neu ein. Mit dem zweiten, ebenfalls 24-teiligen Tableau setzt sie ihre Arbeit daran fort, mit stilllebenartigen Aquarellen alltäglicher Gegenstände und Textbestandteilen, die auf den ersten Blick wie lyrische Tagebuchnotizen daherkommen die perfide „Schönheit“ häuslicher Gewalt zu thematisieren. Wie eine Parade durchziehen aquarellierte Gestalten in greller Kleidung, auffälligen Schuhen und lasziven Posen die Präsentation, deren geschlechtliche Zuordnung oszilliert. Zu den Accessoires gehören Spiegel. Mit ihnen wird die Präsentation auf Themen wie Sehen, Anerkennungsmuster, Feminismus, Gender-Gerechtigkeit und LGBQ-Bewegung durchlässig. San Francisco wurde für Harrison ab Mitte der 1990er-Jahre zum zweiten Lebensmittelpunkt. Die aktuelle Ausstellung ist ihre erste Ausstellung in der Schweiz in dem Jahr, wo mit dem Frauenstreik am 14. Juni 2019 eine Energie freigesetzt wurde, die auf Veränderung im Konkreten setzt und nicht nachlässt, weil es bei jedwedem Mangel daran, sich mit sich selbst als dem ersten Fremden auseinanderzusetzen und Gewalt gegen Frauen immer um Gewalt gegen den Menschen an sich geht.

Read original article

Cover Image: Margaret Harrison · Marilyn, 1994, Aquarell auf Papier, 60 x 45 cm (l); Marilyn, 1998, Öl auf Leinwand, 51 x 51 cm, Courtesy Galerie Nicolas Krupp Basel