Tore zwischen zwei welten

by Hans Ulrich Obrist
Das Magazin
N° 37 – 18. September 2021
Deutsch

Atta Kwamis bunte Linien und Streifen fangen den Blick, versetzen in Trance.

Loughborough, eine mittelkleine Stadt, deren vokale Rundungen nur in Engländer unfallfrei über die Lippen bringt, liegt nahe der Stadt Leicester, die Fussballfreunden ein Begrift ist. Nach Loughborough habe ich mich auf-gemacht, um den Maler Atta Kwami zu treffen. Ich bin seinem Werk vor nicht allzu langer Zeit erstmals begegnet und war davon begeistert - umso mehr, als ich erfuhr, dass Kwami, Sohn der Bild-hauerin Grace Kwami, zu den bekanntesten Künstlern Ghanas gehört, einem Land mit einer blühenden Kunstszene, in dessen Hauptstadt Accra der Architekt David Adjaye derzeit eine Kathedrale baut. Kwami entwirft für diese Kirche Fenster, nachdem er sowohl in seinem Heimatland als auch in Nigeria eine ganze Generation junger Künstlerinnen geprägt hat.

Kwami empfing mich in dem schlichten Haus, das er mit seiner Frau, ebenfalls Künstlerin, bewohnt und das bis unters Dach mit seinen und ihren Werken befüllt ist. Für seine grösseren Arbeiten hat er einen Atelierraum in der Innenstadt von Loughborough, den er sich mit anderen Künstlern tilt. Dort entstehen seine abstrakten, farbigen Linen- und Strei-fenbilder, vor denen man wie in einer Trance gefangen steht. Seine Werke erinnern an amerikanische Hard-Edge-Künstler wie Ellsworth Kelly und an westafrikanische Textilien. Kwamis Malerei verbindet das eine mit dem anderen und stellt eine Verbindung zwischen zwei Welten her, die an sich nicht viel miteinander zu tun haben.

Diese Verbindung ganz wörtlich nimmt er mit seinen bemalten Toren, durch die man hindurchgehen kann; fantastisch sind auch die bemalten Kioske, von Hand zusammengenagelte Verkaufsstände, wie man sie überall in Ghana an den Strassen findet. Der erste dieser Kioske ist übrigens in Basel entstanden, vor vielen Jahren anlässlich einer Ausstellung in der Kunsthalle. In der westlichen Welt werden diese Kioske aber auch zu politischen Botschaften, zu Symbolen der Kreativität und der Widerstandskraft der Menschen in Ghana und anderen Teilen Westafrikas. Die ästhetische Erscheinung der dreidimensionalen, bemalten Objekte ist umwerfend, aber zugleich erinnern sie auch daran, unter welchen Bedingungen und mit welchen Härten sich Menschen anderswo über Wasser halten.

Beides, das Ästhetische und das andere, sind starke Gründe dafür, dass diese Kioske in sehr viel mehr Museen der Welt zu sehen sein sollten.

Dieses Jahr erhielt Atta Kwami den Maria Lassnig Preis; mehr Informationen unter marialassnig.org/preis

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Cover Image: Atta Kwami, Zibo, 2011, Acrylic on linen, 115 × 140 cm