Simone Holliger

by Katharina Holderegger
Kunstbulletin
September 2022
Deutsch

La Chaux-de-Fonds — Die Treppenanlage des Museums im Art-Déco-Stil ist oft für eine Überraschung gut. Zurzeit fällt der Blick zwischen den Handläufen und den diese krönenden Skulpturen – zwei Widder aus Granit – auf ein noch verblüffenderes Biest, das den sonst ausgeräumten Oberlichtsaal besetzt. Schon von Weitem fasziniert einen die differenzierte Behandlung der Volumina bis und mit der Textur. Doch erst beim Umschreiten erkennt man aus der Nähe, dass dieser Eindruck der purpurfarbenen Lasierung der Styroporstücke geschuldet ist. Und man realisiert, dass sich in dieser Freiplastik zwei Wesen verbergen, von denen das eine durch zwei mysteriöse Kegel markiert ist. Giftgrün ist der grössere, hellgrau der kleinere lackiert. Die Standflächen des Skulpturenpaars sind klar geschieden, ja driften durch die unteren Glieder sogar weit auseinander, während die oberen wie auf der Suche nach einer Verbindung erscheinen, die ihnen frischen Schwung verleiht. Zwischen ihnen entfaltet sich ein impulsiver, erotischer Tanz, der daran erinnern mag, wie physisch und intensiv das traditionelle skulpturale Schaffen ist. Man vergisst schier, dass das Ganze eigentlich stillsteht.

Simone Holliger (*1986, Aarau) knüpft im Rahmen ihrer Carte blanche im MBAC an ihre Plastiken aus stegartig verbundenen sowie nicht selten auch noch malerisch bearbeiteten Papierbahnen an, mit denen sie die Elastizität der menschlichen und tierischen Figur, aber etwa auch der Architektur in den Avantgarden des früheren 20. Jahrhunderts neu zu ergründen begann. Sie stiess damit auf grosse Anerkennung, wagt hier jedoch den Schritt in eine neue Technik. Simone Holliger ist mit diesen Werken erstmals mithilfe einer Equipe nach einem kleinen Modell ins Grossformat und in solide Masse vorgedrungen und hat für das Motiv eher abgerundete Formen hervorgebracht. Die Künstlerin will die Frage von Fülle und Leere auch einmal umgekehrt und brachialer angehen sowie Materialien und Methoden testen, die monumentalere Werke erlauben. Trotz ihrer zahlreichen skulpturalen Arbeiten aus Karton will sie nicht auf delikate Papierwerke fixiert werden. Vielmehr will sie sich möglichst umfassende gestalterische Freiräume wahren. Diese haben ihr Andocken an die Plastik der klassischen Moderne wesentlich bedingt.

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Cover Image: Simone Holliger · User ma salive, 2022, Ausstellungsansichten Musée des Beaux-Arts La Chaux-de-Fonds. Foto: Gaspard Gigon