Review

Ein Basler Kunstmärchen in New York

by Dominique Spirgi
bz Basel
27 March 2023
Deutsch

Zu Lebzeiten hatte der Basler Künstler Rudolf Maeglin wenig Erfolg, nun aber erlebt sein Spätwerk in der US-Metropole den Durchbruch.

Dieser «Junge» will sichtlich den Macker raushängen. Breitbeinig steht er dem Maler Mo-dell, seine Füsse stecken in Cowboystiefeln, der Kragen des roten Blousons ist aufgestellt und seine Daumen hat der Jugendliche herausfordernd in den Bund seiner Jeans gesteckt. Das schmale, gerade mal 38 auf 16 Zentimeter kleine, in Öl auf Hartfaserplatte gemalte Werk aus dem Jahr 1961 ist Zeichen einer Zeit, als die Jugend sich auch in Basel mit dem Rock 'n' Roll von einem Stück Rebellentum erfassen liess - James Dean liess grüssen. Das Bild lässt sich aber stilistisch wie die weiteren, ähnlich gelagerten Porträts junger Menschen nur schwer einordnen.

Die Umgebung mit den jeweils monochromen, an Vorhänge erinnernden Hintergründen suggerieren Szenerien, die in einem Fotostudio entstanden sein könnten. Tatsächlich hat der Künstler Rudolf Maeglin (1892-1971) seine Modelle in seinen späten Schaffensjahren, als er gesundheitlich angeschlagen war, in sein Atelier im Klybeckquartier gebeten. Aber von fotografischem Realismus oder Realismus an und für sich kann bei diesen Werken nicht die Rede sein. Sie wirken mit ihren stark umrissenen und kaum variierenden Farbfeldern und in ihrer Vereinfachung flächig.

Naive Kunst oder doch Expressionismus?

«Man denkt vor Maeglins Bildern leicht an einen ‹peintre naïf›, der in der Meinung, Natur zu studieren, ein denkbar naturfernes Bild komponiert», schrieb der grosse deutschschweizerische Kunsthistoriker, Kurator und Museumsdirektor Werner Schmalenbach in den 1950er-Jahren in der schweizerischen Monatszeitschrift für Architektur, Kunst und künstlerisches Gewerbe «Werk».

Und Schmalenbach fügte hinzu, dass der Künstler, wenn man ihn überhaupt einordnen wollte, «am ehesten in der Linie des Expressionismus» stehe. Maeglin selber kümmerten solche Einstufungsversuche nicht. «Ich kann doch nicht malen, wie ich es will; die Dinge diktieren mir, wie ich es machen muss», gab der Künstler einst zu Protokoll.

In Basel ein Aussenseiter, in New York ein «Must-see»

Im Ausstellungsraum der Meredith Rosen Gallery in der vornehmen Upper East Side in Manhattan hängen nun 15 dieser kleinen Bilder. Es ist ein Ort, wo man diese Arbeiten nicht wirklich vermuten würde. Die Galerie befindet sich in einer Seitenstrasse zwischen der 5th Avenue, die hier die berühmte Museumsmeile ist, und der Madison Avenue. Hier haben die grossen weltumspannenden Kunsthandel-Konzerne wie Gagosian, Hauser & Wirth und Helly Nahmad Gallery ihre Sitze und die teuren Blue Chips der Gegenwartskunst und der Klassischen Moderne werden feilgeboten.

Mittendrin nun also dieser Basler Maeglin, der in seiner Heimatstadt ein Aussenseiter war und zu Lebzeiten über seinen persönlichen Bekanntenkreis hinaus nur wenige Werke verkauft hatte. Nicht so in New York: «Die Ausstellung ist ausverkauft », sagt Galeriedirektor Alex Berns. Und die Galeriebesitzerin Meredith Rosen spricht von einer «überwältigenden Resonanz ». Sie habe sogar Werke in einer öffentlichen Sammlung in den USA unterbringen können, so Rosen weiter. In welcher, könne sie nicht sagen, das müsse die Sammlung selber kommunizieren.

Die kleinen Werke von Maeglin waren den Sammlerinnen und Sammlern in New York 12000 Dollar pro Stück wert. Das ist ein Vielfaches davon, was in Basel für Maeglins Werke verlangt und ausgegeben wird. Im aktuellen Katalog des Basler Auktionshauses Beurret & Bailly ist eines der Baustellenbilder mit einem Schätzpreis von lediglich 2000 bis 3000 Franken angegeben.

Es mag abgeschmackt klingen, aber in diesem Fall trifft zu, dass der Prophet in seiner Heimat weniger gilt als anderorts – zumal in New York eine Werkgruppe angeboten wird, für die der «Baustellen- und Fabrikmaler » Maeglin wenig bekannt war. Für Meredith Rosen war es ein geschäftlich und kunsthistorisch lohnendes Kalkül. «Als ich Maeglins Werke kennen lernte, war für mich sofort klar, wie relevant sie in der heutigen Zeit sind. In einem neuen Kontext in New York war es noch spannender », sagt sie. Und sie behielt recht. Das renommierte internationale Kunstportal Artforum verlieh der Ausstellung das Prädikat «Must-see».

Die Vorarbeit leisteten zwei Basler Galeristen

Kennen gelernt hatte Rosen das Werk Maeglins durch die Basler Galeristen Dominik Müller und Carlo Knöll 2022 während der Art Basel in Miami Beach. Zusammen mit ihrem Kollegen Nicolas Krupp hatten sie bereits 2021 in Basel versucht, mit einer dreigeteilten Ausstellung zum 50. Todesjahr Maeglins in den jeweiligen Galerien dem beinahe vergessenen Künstler zu einer Renaissance zu verhelfen. Dazu gaben sie mit Unterstützung des Christoph-Merian-Verlags einen umfassenden Werkkatalog heraus – in hinterlistiger Absicht bereits in den zwei Sprachen Deutsch und Englisch verfasst.

«Die Basler Ausstellung war publikumsmässig ein Erfolg», erinnert sich Dominik Müller. Kommerziell würde er aber eher das Prädikat «Okay» vergeben – «ein Selbstläufer war es nicht», so Müller. Aber es war unter dem Strich die Initialzündung für das kleine Kunstmärchen, das jetzt in New York über die Bühne geht.

Die Homosexualität nicht mehr versteckt

Es ist dies letztlich ein weiteres Kapitel im verlängerten Lebenslauf des Künstlers, der einige aussergewöhnliche Momente aufweist.

Rudolf Maeglin kam 1892 als Sohn einer gutbürgerlichen Basler Familie zur Welt. Er studierte seiner Familie zuliebe in Genf Medizin, wurde Arzt, ging aber nach wenigen Assistenzjahren in der Chirurgie nach Paris, um Künstler zu werden. 1929 kam er nach längeren Aufenthalten in Paris und Mallorca nach Basel zurück und kehrte seinen gutbürgerlichen Wurzeln den Rücken zu.

Zurück in Basel «genügte der Schritt über den Rhein, um ins Neue aufzubrechen und damit das Alte endgültig abzulegen », schrieb der Schriftsteller Alain Claude Sulzer im 2021 erschienenen Werkkatalog. Dort habe er gewiss auch Bekanntschaft mit Leuten gemacht, die es gemäss Maeglin wie zuvor in Paris «nicht nötig haben, sich zu verstecken». Mit diesem «Verstecken » war seine Homosexualität gemeint, die in seinen späten und nun in New York gezeigten Porträts in einem Anflug an Erotik und Sinnlichkeit, wie Sulzer es beschreibt, sichtbar durchschimmert.

Dies mag erstaunen, denn zunächst verdingte Maeglin sich als Hilfsarbeiter auf Baustellen im Rheinhafen und bei der Farbproduktion des Chemiekonzerns Sandoz. Es war dies die Welt, die der Künstler Maeglin auch malend oder in Holzstichen abbildete: Der Bau der (ersten) Dreirosenbrücke und weitere Grossbaustellen waren seine Motive, er malte die Fabrikhallen von Sandoz, Szenen aus dem Rheinhafen und die Hafen- sowie Fabrikarbeiter. Diese Motive, die entfernt an Malereien des sozialistischen Realismus erinnern, letztlich aber unpolitisch blieben, verschafften ihm den Ruf des Baustellen- und Fabrikmalers.

Sie stempelten ihn letztlich auch zum Aussenseiter. Maeglin war zwar Mitbegründer der antifaschistischen Basler Künstlergruppe 33, war also auch etwas vernetzt, blieb aber Einzelgänger. Ob er auch ein «Einsamer» war, wie ihn sein Arzt Rudolf Schmidt viele Jahre nach Maeglins Tod im «Sandoz Bulletin» beschrieb, darf aber bezweifelt werden. Die späten Porträts belegen, dass er in seinem Atelierhaus offensichtlich regen Besuch erhielt.

Der Erfolg kommt erst nach seinem Tod

In der Fachwelt wurde Maeglin stets als wichtiger Künstler anerkannt – davon zeugen auch Aussagen von Georg Schmidt, dem ersten Direktor des 1936 fertiggestellten Basler Kunstmuseums. In einer breiteren Öffentlichkeit geriet Maeglin wohl auch im Schatten der damals allgegenwärtig aufkeimenden Abstraktion in der Bildenden Kunst in Vergessenheit.

Ein Jahr vor seinem Tod, 1970, zeigte die Kunsthalle Basel Werke von ihm in einer Doppelausstellung mit Arbeiten von Paul Camenisch. Erst 2012, also viele Jahre nach seinem Tod, widmete ihm das Kunsthaus Zug in seiner Reihe mit Ausstellungen wenig bekannter Schweizer Maler eine grosse Einzelausstellung.

Und jetzt musste die Kunstmetropole New York her, um Maeglin auch noch den kommerziellen Erfolg zu bescheren. «Die intime Grösse, die leuchtenden Farben und die Zärtlichkeit dieser Werke stehen im Gegensatz zu den eng geschnittenen Frontalansichten seiner Porträtierten und schaffen eine Spannung zwischen der Rolle des Arbeiters als Subjekt und der allgegenwärtigen menschlichen Erfahrung», schrieb die New Yorker Galerie. Und manifestierte damit, dass es höchste Zeit war, den verkannten Baustellen- und Fabrikmaler als Schöpfer seiner sinnlichen Porträts nicht wieder-, nein, neu zu entdecken.

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Cover Image: Rudolf Maeglin, Junge, 1961, oil on board, 38 x 16 cm