- Dates5 November 2021 - 8 January 2022
- Opening receptionThursday, 4 November 2021, 3:00 pm - 7:00 pmCovid certificate required for access to vernissage
- Artists
Im September 2021 zeigte Hanspeter Hofmann Ingo Niermann seine neue Serie von figurativen Gemälden, Neue Typen*Innen, die er zunächst in einer App gezeichnet, dann auf Leinwand gedruckt und übermalt hatte. Die beiden sprachen über das Wechselspiel von digital und analog, von KI und Emotion, und Ingo Niermann schrieb darauf folgenden Text.
Warum ist etwas und nicht nichts? Informationstheoretiker argumentieren, dass ein absolutes Nichts zu beschreiben komplexer sei als ein absolut Alles. Als Beispiel wird gern Jore Luis Borges’ Geschichte Die Bibliothek von Babel angeführt: Eine Ansammlung aller möglichen Bücher habe den Informationswert null. Beim Nichts hingegen müsse man genau definieren, was für ein Nichts überhaupt gemeint sei. Nicht nur ein immer leer bleibender Raum, sondern sogar die Abwesenheit von Raum und Zeit? Sogar die Abwesenheit einer Logik, die dieses Nichts doch überhaupt erst definiere?
Eine Ansammlung aller möglichen Bücher ist, sofern die Zahl der verfügbaren Zeichen wie auch die der möglichen Seiten endlich ist, zwar immens, aber endlich. Das ist beim Alles-Möglichen nicht der Fall. Wie aber kann Unendlichkeit nicht nur mengentheoretisch formuliert werden, sondern tatsächlich sein?
Indem Alles-Mögliche nicht immer schon ist, sondern immer noch wird. So bleibt das, was gerade jetzt ist, endlich. Unendlich ist und bleibt nur das, was noch nicht ist. Nichts und Alles bewegen sich auf dem Zeitstrahl aufeinander zu und durchmengen sich. Das Alles aus einer fernen, nie erreichbaren Zukunft – also das Nichts aus einer ebenso fernen, das heisst nie beginnenden Vergangenheit? Oder warum hat Alles einmal genau so und nicht anders begonnen? Bei der Frage nach dem Anfang des Werdens wird auch dieses Modell paradox.
Es sei denn, die Welt hätte nicht nur einmal, sondern auf alle möglichen Weisen gleichzeitig begonnen. Es gäbe also nicht nur ein Weltgeschehen, das sich durch ihre Bibliothek liest. Sondern so unendlich viele Weltgeschehen wie Bücher? Oder wie erste Buchstaben?
Informationstheoretiker sind bestrebt, die Welt ähnlich einem Computerprogramm nur anhand diskreter Zustände zu beschreiben: Ja und nein bzw. eins und null. Am Anfang Alles-Möglichen könnte eine binäre Opposition stehen – die sich im folgenden Weltgeschehen in immer weitere Welten verzweigt. Ein quantenmechanischer Kollaps der Wellenfunktion signalisiert nicht die Entscheidung zwischen zwei möglichen Zuständen, sondern die Aufspaltung einer Welt in zwei Welten, in denen je das eine der Fall ist. Die Zahl der existierenden Welten wäre unermesslich grösser als die Zahl der Elementarteilchen in unserer Welt, aber endlich.
Das Problem an dieser Theorie sind nur wir. Wir, das heisst die bewusst wahrnehmenden Etwasse. Unsere sinnlichen Wahrnehmungen, unsere Gefühle und sogar unsere Gedanken über Logik und Mathematik – unsere Qualia – lassen keine diskreten Zustände erkennen. Unser Bewusstsein pixelt nicht.
Ist eine solche Ignoranz gegenüber dem, was zwar nicht unmittelbar vor, aber unmittelbar hinter unseren Augen passiert, eine weitere weiss-männliche Irrfahrt? Tatsächlich sind es bisher nur weisse, männliche Informationstheoretiker, die die Welt als ein sich selbst realisierendes Computerprogramm interpretieren. Sogar die, die ihre Theorien kritisch diskutieren, sind in der Regel weisse Männer. Der Grossteil der Menschheit macht sich nicht die Mühe, sie auch nur zu verstehen. Und bemüht auf die Frage nach dem Ursprung von allem, was der Fall ist, wann und wo auch immer, die eine oder andere prä-technologische Metapher. Demut gegenüber unserem Nicht-Wissen sieht anders aus.
Im antiken griechischen Theater war es an den Satyrn, sich über die Menschen und ihre dummen Weisheiten lustig zu machen. Dauererregte, dauernd Zoten reissende Waldgeister, halb Mensch, halb Tier. Auch wieder männlich und in allem, was an ihnen menschlich ist, auch wieder weiss. Kaum schaut ein Satyr in den Spiegel, erscheint ihm Nietzsches Übermensch. Und von da ist es nicht weit zu Marvels Superhelden, die sexuelle Potenz für Kraftmeierei und einen derben, im Chor die Dinge beim Namen nennenden Humor für eine die Welt im Ein-Mann-Kommando aufräumende Lynchjustiz eintauschen.
Im analogen Hier und Jetzt finden Männer nur noch in der umgekehrten Richtung zu sich – noch idiotischer, noch lädierter. Mensch und Tier nicht als mehr, sondern als weniger als die Summe ihrer Teile. Zu verkopft und zu triebgesteuert in einem. Egal wie wenig Platz Männer einnehmen, sie haben ihn geraubt. Auch wenn sie sich selbst kasteien oder vernichten würden, stänke ihre Selbstgerechtigkeit zum Himmel.
Während Frauen und anderen Nicht-Männern die Rolle zukommt, sich humanistisch und post-humanistisch immer weiter zu vervollkommnen, bleibt Männern identitätspolitisch die Grauzone von weder Mensch noch Tier. Hier können sie darüber sinnieren und darauf beharren, dass es sie als Was-Auch-Immer überhaupt noch gibt. Von hier aus können sie Chat rooms und Blogs vollschreiben, Social Media volltrollen, Post-Its vollkritzeln, Wände vollsprayen und Fussgängerzonen vollgrölen. Solange sie nur biestig und laut genug bleiben, dass man sie nicht noch zu bemitleiden und zu behätscheln beginnt. Egal wie geschunden sie sind, sie wollen gefährlich bleiben – oder zumindest nerven. Als schlechtes Beispiel widerstrebend beiseite geschoben werden. Und in einem seltenen Moment trotz allem und gerade deswegen unwiderstehlich sein. Denn sie sind etwas und nicht nichts.
Ingo Niermann, October 2021
by Vivana Zanetti, Basler Zeitung*
Der in Basel lebende Künstler Hanspeter Hofmann stellt bei Nicolas Krupp seine neue Serie figurativer Gemälde aus, die während des Lockdown 2020 entstanden sind.
In der Galerie von Nicolas Krupp in der Rosentalstrasse herrscht derzeit eine Atmosphäre wie in einem medizinischen Laboratorium. Nicht etwa, weil Forschende mit weissen Kitteln und Schutzbrillen mit Proben hantieren. Nein, den Eindruck vermitteln die ausgehängten Gemälde von Hanspeter Hofmann. Wie auch in seinen früheren Arbeiten schimmert hier seine frühere Tätigkeit als Chemielaborant durch.
Im hellen Licht des Raumes erscheinen die Leinwände in kaltem Weiss. Bedruckt sind sie mit prototypischen Figuren und Formen, die an die Gestalt einzelner oder mehrerer Personen, an Tiere, an Schädel auf einem Röntgenbild oder an Zellstrukturen unter einem Mikroskop erinnern. Ein computergeneriertes Raster bildet das Netz, in dem diese Darstellungen eingebettet sind. Hofmann zeichnete diese Basis mithilfe einer App.
Intuition und Exaktheit
Poppige Farbakzente lassen die Gemälde ins Auge stechen. Die Gestalten sind mit purpurnen, lila, violetten, schwarzen, roten, gelben, grünen, auch blauen Tupfern übermalt. Auf diese Weise lässt der in Basel ansässige Künstler die errechnete Abbildung der Applikation mit seinem eigenen unmittelbaren kreativen Ausdruck verschmelzen.
Hofmann grenzt sich bewusst von Bestrebungen ab, selber eine möglichst exakte Abbildung der Wirklichkeit zu kreieren. Allgemein fragt sich der 61-Jährige mit seiner Kunst, inwiefern dies selbst auch mit den wissenschaftlichen Methoden überhaupt möglich ist. In der zum grossen Teil während des Lockdown entstandenen aktuellen Serie lässt er wissenschaftliche und künstlerische Darstellungsmethoden aufeinanderprallen.
In der entstehenden Irritation zwischen exakter Abbildung und intuitiver Darstellung möchte Hofmann das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft erforschen: So ist der kreative Schaffensakt für ihn eng verbunden mit einer wissenschaftlichen, geistigen Ebene.
Hofmann verrät während einer Führung durch die Ausstellung auch eine seiner Inspirationsquellen für die teils unruhig wirkenden, teils den Werken Tiefe verleihenden Farbakzente: die Bewusstseinstherapie, in der man versucht, bewusst wahrzunehmen, wo man seinen Körper in welcher Art und Weise spürt. Auch das verweist wieder auf diese für ihn charakteristische Verbindung von unmittelbarer Wahrnehmung, die reflektiert, mit wissenschaftlicher Herangehensweise erforscht und künstlerisch dargestellt wird.
*read original Basler Zeitung article, 6 December 2021