- Dates2 September 2022 - 29 October 2022
- Opening receptionThursday, 1 September 2022, 6:00 pm - 8:00 pm
- Artists
[Coat 1-4, 2022]
[Arm 1-5, 2022]
[Liaisons, 2021]
Fluid rubber is poured out onto the floor in metre-long sheets, forming a barrier within the studio. The material spreads out and presses itself against the rubber underlay and into its microscopic scratches, encompasses and binds dust particles and hairs as well as ropes that will later serve its hanging. The drying sheets mark out a route through the studio, storage spaces and tools can no longer be reached, other work processes must wait while the material hardens and establishes contact.
Liesl Raff processes and transforms materials, in order to delineate contact zones. Latex has been a constitutive part of her works for some years now; thereby becoming a mediator. As a liquid, though also when solidified, latex is especially adept at making contact; it becomes a second skin that morphs according to everything on which it is placed. In her new series of works [Coat 1-4, 2022], this second skin becomes a body in itself. Bulges and folds interplay with the carrier’s structure, the poles and ropes, to give this body mass and volume. The latex cases become actors that relate to everything around them, shielding themselves, or incorporating and embracing their surroundings. They are inscribed with the logic of banners as they are employed at rallies and demonstrations. Both protective shield and communicative surface, behind them one can gather or hide, occupy space and communicate outward. Latex also invites physical contact, and it delineates relationships, connections, conditions. It is adaptable. [Liaisons, 2020] is a direct encounter between latex and rope, which together form tentacular whips or lassos. They wrap around a vertical structure and branch anti-phallically in every direction. They were once described as “shape-shifters,” and “feminist tricksters” who are as “they please, when they please, despite our expectations of what they should be.”
Liesl Raff forms, works and lives with her materials, until their contradictory qualities become apparent and amorphous seduction and crystalline resistance turn into their respective opposites. Time and again, new materials – like leather, most recently – take up a role in her practice. While latex has a supple flexibility and immediately adapts to new bodies, leather is slower to make contact. Its working requires strength, it does not form the contours itself. The body must remain in constant contact with the material in order to shape it; leather adapts slowly and then retains its shape.
Steel pipes covered with ink-dyed leather [Arm 1-5, 2022] jut out of the wall. They are handles to cling to. Supports that can also thrust. Protective skins that soften the blow and reinforce the strike. They invite and dominate. With this, [Arm 1-5, 2022] does not stand in opposition to [Coat 1-4, 2022], nor does the vegetal to the animal. Both the formal and material opposites reinforce each other in their ambivalence and describe variations in forms of contact, which not only reveal much about the material’s character but also give form to the unconscious relationships that we have with materials.
English Translation: Miriam Stoney.
[Coat 1-4, 2022]
[Arm 1-5, 2022]
[Liaisons, 2021]
Flüssiger Kautschuk wird auf dem Boden in meterlangen Bahnen ausgeschüttet und bildet eine Barriere im Studio. Das Material breitet sich aus und presst sich an die Unterlage aus Gummi und in deren mikroskopischen Ritzen, umschließt und bindet Staubpartikel und Haare sowie Seile, die später als Aufhängung dienen werden. Die trocknenden Bahnen bilden einen Parcours im Studio, Lagerflächen und Werkzeuge sind nicht mehr erreichbar, andere Arbeitsprozesse müssen warten, solange das Material aushärtet und Kontakt aufnimmt.
Liesl Raff bearbeitet und transformiert Materialien, um Kontaktzonen zu beschreiben. Seit mehreren Jahren ist Latex ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeiten; es wird darin zur Vermittlerin. Latex ist flüssig aber auch gehärtet besonders kontaktfreudig und wird zu einer zweiten Haut, die sich an alles, über das sie gestülpt wird unmittelbar anpasst. In ihrer neuen Werkreihe [Coat 1-4, 2022], wird diese zweite Haut selbst zum Körper. Wölbungen und Faltungen im Zusammenspiel mit der Trägerstruktur, den Stangen und Seilen, geben diesem Körper Masse und Volumen. Die Latex-Hüllen werden zu Akteuren, die sich auf die Umgebung beziehen, sich von ihr abschirmen oder sie einschließen und umarmen. Ihnen ist die Logik von Bannern eingeschrieben, wie sie auf Kundgebungen und Demonstrationen eingesetzt werden. Sie sind sowohl Schutzschild wie Kommunikationsfläche, hinter ihnen kann man sich versammeln oder verstecken, Raum besetzen und nach Außen kommunizieren. Latex lädt auch zu Berührungen ein und beschreibt Beziehungen, Verbindungen, Verhältnisse. Es ist wandlungsfähig. [Liaisons, 2020] ist ein direktes Miteinander von Latex und Seilen, die gemeinsam tentakuläre Peitschen oder Lassos bilden. Sie hüllen sich um eine vertikale Struktur und verzweigen sich antiphallisch in alle Richtungen. Sie wurden einmal als „Gestaltenwandler“ beschrieben, als „feministische Tricksters, die so sind, wie es ihnen gefällt, wann es ihnen gefällt, ungeachtet unserer Erwartungen, was sie sein sollen“.
Liesl Raff formt, bearbeitet und lebt mit ihren Materialien, bis ihre widersprüchlichen Qualitäten zum Vorschein kommen und sich amorphe Verführung und kristalline Abwehr in ihr jeweiliges Gegenteil kehren. Immer wieder spielen neue Materialien, wie zuletzt Leder, in ihrer Praxis eine Rolle. Während Latex über eine schmiegsame Beweglichkeit verfügt und sich sofort an neue Körper anpasst, ist Leder in seiner Kontaktaufnahme langsamer. Die Bearbeitung braucht Kraft, es bildet die Konturen nicht von selbst. Der Körper muss ständig im Kontakt zum Material bleiben, um es zu formen; Leder passt sich langsam an und behält dann die Form.
Stahlrohre überzogen mit in Tusche gefärbtem Leder [Arm 1-5, 2022], ragen aus der Wand. Es sind Griffe, an denen man sich festklammert. Stützen, die auch stoßen können. Schutzhäute, die den Aufprall abschwächen und den Schlag verstärken. Sie laden ein und dominieren. Damit steht [Arm 1-5, 2022] aber nicht im Gegensatz zu [Coat 1-4, 2022] und das pflanzliche nicht im Gegensatz zum tierischen Material. Die beiden formalen und materiellen Antipoden verstärken sich in ihrer Ambivalenz und beschreiben Variationen von Kontaktaufnahmen, die nicht nur viel über den Charakter des Materials selbst verraten, sondern den unbewussten Beziehungen, die wir mit Materialien führen, eine Gestalt geben.
Leon Hösl, Wien, August 2022
Art Viewer, 20 October 2022
Contemporary Art Library, October 2022
by Simon Baur, Basler Zeitung*
Liesl Raff hat sich der objekthaften Malerei verschrieben. Statt Leinwand verwendet sie Materialien, die verschiedene Assoziationen auslösen. Doch geht es ihr einzig um Malerei.
Bereits vor drei Jahren zeigt Nicolas Krupp die in Wien lebende und arbeitende Künstlerin Liesl Raff. Peter Pakesch, ehemaliger Direktor der Kunsthalle Basel, zeigte ihre Werke in einer von ihm eingerichteten Gruppenausstellung. Nun bespielt Liesl Raff die beiden grossen Räume der Galerie allein und tut dies mit verschiedenen Installationen, die Malerei auf einen unbekannten Abstraktionslevel transportiert, der bestimmte Aspekte der Minimal Art neuartig zu interpretieren versucht.
Liesl Raff spannt bemalte Latexbahnen zwischen Metallstangen und stellt diese entlang der Wände auf. Damit erinnern sie an Bilder, die an den Wänden hängen, verhalten sich aber flexibler, da die Falten in den Bahnen eine Bewegung suggerieren. Indem sie damit bereits existierende Malerei, vielleicht Sam Gilliams Gemälde oder Spruchbänder und Fahnen von Protestbewegungen persifliert, bringt sie mit ihren Arbeiten neue Aspekte in die Malereidiskussion ein.
Gefühlsmässige Radikalität
Verschiedene Seile und Peitschen, die in Latex getränkt und später bemalt wurden, hängen an einer Metallstange oder liegen zusammengerollt auf dem Boden und nähren die Frage, ob es sich bei solchen Objekten um Kunst oder Design handelt. Noch einen Schritt weiter geht die Installation im zweiten Raum der Galerie. Aus der Wand ragen Metallrohre, die mit Leder überzogen wurden, das Liesl Raff mit farbiger Tusche bemalt hat. Das ist formalisierte Malerei, die ganz bewusst neue Lebensbereiche anpeilt, und es besteht mit Sicherheit ein Kalkül dahinter, wenn man solche Objekte mit bestimmten Verhaltensweisen, die mit Dominanz, Unterwerfung und spielerischer Bestrafung zu tun haben, in Verbindung bringt. Man ziehe sich also warm an, wenn man sich mit dieser Malerei beschäftigt. In ihrer Radikalität und indem sie bewusst mit unseren Gefühlen spielt, trifft sie einen unvorbereitet und nachhaltig. Interessanterweise erfährt man bei diesen Arbeiten nicht nur viel über neue Verfahrensweisen und Inhalte von Kunst, sondern auch über sich selbst.
*read original Basler Zeitung article, 4 October 2022