Diango Hernández, ‹Crystal Clear›

by Simone Neuenschwander
KunstBulletin
December 2011
Deutsch

Entropische Bewegungen der Erinnerung werden im Raum festgehalten: Der kubanische Künstler Diango Hernández ordnet neue Arbeiten in der Galerie Nicolas Krupp zu einem Kabinett, das unterschiedliche Zustände thermodynamischer Auflösungen, Verflüssigungen und Evaporationen von Bildern präsentiert.

Basel — Erstmals seit seiner Einzelausstellung ‹Revolution› in der Kunsthalle Basel 2006 präsentiert Diango Hernández (*1970) wieder Arbeiten in der Schweiz. Basierend auf der Geschichte des Ateliers des modernistischen kubanischen Bildhauers Florencio Gelabert (1904–1995), umkreist er Verflüchtigungszustände kultureller Bilder. Gelaberts Atelier ist Ende der Achtzigerjahre mangels Renovation eingestürzt, Kunstwerke sowie Mobiliar fielen dem eindringenden Regen zum Opfer. Hernández erwarb vor einigen Jahren die Studie eines Knabenkopfs von Gelabert, die einen prominenten Wasserfleck aufweist. Mit dieser physikalischen Spur offenbarte die Kohlezeichnung zwei Geschichten: die des Kunstwerks sowie des Zerfalls eines der selten gewordenen individuellen Künstlerateliers unter der kommunistischen Regierung Kubas. Dieses Zusammenfallen von Werk und geschichtlichem Kontext war für Hernández der Ausgangspunkt: Für die Gruppe ‹Humid memories›, 2011, hat er auf nassem Leinwandstoff mit Wasserfarben gemalt. Wieder getrocknet, sind ephemere Farbflecken entstanden, die sich untrennbar mit dem Leinenstoff vereinen.

Die Aktivierung der Erinnerung durch Gesten der sichtbar gemachten Verdunstung von Wasser zeigt auch die Serie ‹Cristales›, 1936/2011, in welcher der Künstler die abgebildeten Trinkgläser auf Katalogseiten der Keramikmanufaktur Villeroy & Boch mit Wasserfarbe von Hand «aufgefüllt» hat. Gefärbtes Wasser, das auf die Produktion neuer Bilder hinweist, findet sich in gefundenen Kristallkaraffen für Cognac oder Whisky wieder, die in Nischen in musealen Sockelstelen platziert sind. Trotz ihrer bourgeoisen Eleganz verweisen die Karaffen als Farbbehälter auf den intimen Arbeitsort des Ateliers zurück. Oben auf die Sockel sind gerollte Buchseiten eines 1936 erschienenen Kataloges über den deutschen Künstler Georg Kolbe (1877 – 1974) gesteckt, welche die Geschichte eines anderen Bildhauers der Moderne aufnehmen, der sich ähnlich wie Gelabert der Diktatur gegenüber widersprüchlich verhielt. Hernández legt narrative Fragmente und installative Episoden im Raum aus: Mit materiellen Zersetzungen und damit der Verweigerung eindeutiger Bilder eröffnet er alternative Lesarten von Geschichte, die nicht «kristallklar» verstanden werden können, sondern stets verschiedene Perspektiven beinhalten.

Cover Image: Diango Hernández · Crystal Clear, 2011, Ausstellungsansicht Galerie Nicolas Krupp, Basel